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Eine Betrachtung über das Eingestehen: Als Mythos, als Meditation und als ein Weg um Voranzukommen – ein bearbeiteter Auszug der mündlichen Unterweisung durch Geshe Tenzin Wangyal Rinpoche im Sommer 2009.
Im Sommer Retreat 2009 im Ligmincha Institut stellte Tenzin Wangyal Rinpoche Belehrungen aus der A-Tri Dzogchen Tradition des tibetischen Bon Buddhismus vor. In diesem Auszug erklärt Rinpoche die Praxis des Eingestehens (das Zugeben einer schlechten Handlung), eine der Praktiken, die Bestandteil des A-Tri Ngondro oder der Vorbereitungspraxis ist.

twr_laugh_flags_raise_259x300Wenn du dich auf die Praxis des Eingestehens in einer natürlichen, authentischen und damit einer Art und Weise, die das Leben verändert, einlassen willst, muss das ganz persönlich für dich auch Sinn machen. In den spirituellen Traditionen Tibets werden alle Arten von negativen Handlungen des Körpers, des gesprochenen Wortes sowie negative Gedanken als Übeltaten angesehen, gleichbedeutend einer Sucht wie das Rauchen oder der Missbrauch von Alkohol. Dem Eingestehen kommt die Bedeutung zu dir zu helfen, diese negativen Angewohnheiten zu transformieren und zu überwinden.

So können wir zum Beispiel viele Probleme im Zusammenhang mit unserer Wut haben und deshalb Dinge sagen, die verletzen. Um unsere Gewohnheiten zu ändern und ganz besonders um unsere Sucht zu überwinden, müssen wir uns zuerst einmal all unsere schlechten Handlungen bewusst machen. Das muss in einer in einer sehr direkten und unmittelbaren Weise passieren und über das rein Intellektuelle hinausgehen. Es ist überaus wichtig, dass wir uns über unsere negativen Taten, unsere negative Sprache und Gedanken im Klaren sind. Das heißt nicht, dass wir uns gedrängt fühlen sollten etwas zu beichten, weil wir uns ansonsten in der Hölle wieder finden. Wenn wir das Gefühl haben, dass wir die negativen Handlungen unter Druck eingestehen müssen ohne uns darüber wirklich im Klaren zu sein, wird uns das wahrscheinlich nicht wirklich gut tun. Aber wenn wir uns über unsere schlechten Handlungen gewahr werden, ist das eine gute Sache.

Schau dir einmal all die positiven Veränderungen in deinem Leben an, die dich in die richtige Richtung von Heilung oder einer positiven, gesunden Lebenseinstellung geführt haben. Die meisten dieser Veränderungen resultierten wahrscheinlich nicht aus einem Gefühl heraus, in dem du dich schlecht oder schuldig gefühlt hast, sondern vielmehr daraus, dass du dir voll und ganz bewusst darüber warst, was richtig ist. Wenn du dir ganz und gar darüber im Klaren sein kannst, dass eine deiner Handlungen des Körpers, der Sprache oder des Geistes wirklich nicht richtig ist, dann gibt es eine Unerschütterlichkeit in der Authentizität dieser Wachheit. Und aus dieser Unerschütterlichkeit heraus kannst du dich verändern.

Worum es mir hier geht, besonders im Hinblick auf jene, die ein gewisses Unbehagen angesichts der Praxis des Eingestehens verspüren, ist, dass wir unsere Sicht in Bezug auf das Eingeständnis klarstellen. Ganz offensichtlich ist nichts verkehrt daran, sich über seine schlechten Handlungen bewusst zu sein. Ist es doch der einzige Weg wie du in die Lage versetzt werden kannst etwas zu verändern, stimmt’s? Aber es ist wichtig, die richtige Art von Gewahrsein zu entwickeln. Wenn du dir deine Fehler genau anschaust, mag es sein, dass du dich dabei nicht besonders gut fühlst. Das ist okay, solange es dich motiviert etwas zu ändern. Wenn du dich dabei aber deprimiert fühlst, läuft auf subtiler Ebene etwas falsch in der Art und Weise wie du sie ansiehst.

Möglicherweise hast du nicht genug Unterstützung um die Veränderung herbeizuführen. Es ist sehr wichtig, dass man auch die Gegengifte zu den negativen Emotionen kennt, in das Heilungspotential glauben kann und Vertrauen in den Zufluchtsbaum entwickelt. Es ist ganz klar, wenn du den wirklichen und ehrlichen Wunsch hast, dich zu ändern und das mit den richtigen Hilfen, dann wirst du, wenn du dir deine schlechten Handlungen ansiehst, dir selbst sagen: „Ja! Ich tue es. Ich werde mich verändern.“

Betrachten wir die Dinge mit einem gesunden Menschenverstand sehen wir, dass wir uns manchmal bei einer Sucht gar nicht um Hilfe bemühen, wenn wir sie auch bräuchten. Vielleicht denken wir, „Warum sollte ich jemanden fragen? Ich weiß schon, was zu tun ist.“ Irgendwie weigern wir uns jemanden um Hilfe zu bitten. Ganz sicher gibt es da ein sehr großes Ego. Es ist vor allem das Ego, das diese Sucht hervorgebracht hat. Es ist das Ego, das sie mit Erfolg am Leben erhält und auf jeden Fall ist es das Ego, dem die Veränderung am schwersten fällt. Es ist auch das Ego, das niemanden um Hilfe bitten möchte, wenn Hilfe gebraucht wird.

Die Unfähigkeit sich zu ändern lässt sich oft auf einen Mangel an Vertrauen zurückführen. Vielleicht hast du eine schlechte Angewohnheit nur deshalb nicht verändert, weil du kein Vertrauen in deine eigenen Fähigkeiten entwickeln kannst, in dein Potential, in deine innewohnende Kraft, deinen inneren Raum, deine innere Bewusstheit. Vielleicht hast du nicht genug Vertrauen in den Zufluchtsbaum oder in die Sangha, den Lehrer, die Freunde oder in die Familie. Du magst sagen: „Ja, schon – ich war beim Therapeuten, ich habe an Retreats teilgenommen, ich habe sogar darüber gegoogelt, aber nichts hat mir wirklich geholfen mit dem Problem fertig zu werden.“ Viele denken so. Wenn das bei dir auch so ist, dreht es sich vielleicht nicht so sehr darum, dass du eine Lösung suchst, sondern vielmehr darum, dass du nicht traust. Du bist immer noch im Zweifel. Wenn du nur in eine dieser Hilfsangebote Vertrauen gehabt hättest, hätte es vielleicht eine wirkliche Ankopplung geben können und es hätte sich etwas verändert.

Im Dharma steht am Anfang der Zufluchtsnahme das Vertrauen. Und die Zufluchtsnahme – die bedeutet, den Zufluchtsbaum als deinen Zeugen einzuladen – ist die erste der vier Kraftpole des Eingestehens. Der zweite Kraftpol des Gestehens beinhaltet die schlechten Handlungen ans Tageslicht zu bringen und sie zuzugeben. Dann erfährst du, drittens, ein  starkes Gefühl der Reue und des Bedauerns und du gelobst dies nicht wieder zu tun. Viertens wendest du das Gegenmittel an; zum Beispiel besteht deine Eingestehens – Praxis, wenn du in Wut gehandelt hast, darin, dass du Liebe in dir erzeugst, das Gegengift zu Wut. Jeder dieser vier Punkte ist erforderlich für die Praxis des Eingestehens.

Einen Ort der Zuflucht zu schaffen ist nichts, was im Außen passiert. Stattdessen visualisierst du die erleuchteten Wesen vor deinem inneren Auge und integrierst sie in dein reines Bewusstsein. Diese Bilder repräsentieren deine innere Wahrheit und deine innere Essenz. Die Erfahrung der Zufluchtnahme ist sehr intim und persönlich. Solange du nicht wirklich diese innige Verbindung spürst, wird dich die Visualisation nicht tragen. Ohne ausreichende Unterstützung und das Vertrauen in die erleuchteten Wesen und deren erleuchteten Qualitäten oder in die Sangha, Freunde oder Familie kann es sich als sehr schwierig erweisen sich zu ändern, so sehr du es auch wollen magst.

Nachdem du dich auf die Erfahrung der Zufluchtnahme eingelassen hast, musst du versprechen dich zu ändern. Wenn du nicht wirklich ein festes Versprechen wie „eine Woche lang werde ich das nicht mehr tun“ oder „das werde ich nie mehr machen“ abgibst, wirst du sehr wahrscheinlich schnell wieder in dein negatives Verhalten zurückfallen. Nichts kann dich davon abhalten diese Untaten zu wiederholen. Einfach nur zu denken, „ich will das nicht mehr machen“ ist nicht stark genug.

Stelle dir folgende Frage: „Welche Konsequenzen hat es, wenn ich mich nicht ändere und welchen Nutzen bringt es mich zu ändern?“ Achte mehr auf die Resultate deiner Handlungen. Vielleicht willst du dich gar nicht für dich selbst verändern, aber für andere, für deinen Partner oder Partnerin, für deine Familie, die Gemeinschaft oder für die Welt. Vielleicht ist es gar nicht immer das „ich muss mich wegen mir ändern“. Siehst du wie die Überwindung deiner Wut einen Nutzen für das Leben anderer sein kann? Was sind die negativen Folgen für diejenigen, die du liebst, wenn du dich nicht veränderst? Das kann Grund genug für eine Veränderung sein.

Die beste Art sich auf ein Eingeständnis einzulassen ist, all deine Missetaten vor dir auszubreiten und den Zufluchtsbaum als deinen Zeugen einzuladen. Der Zufluchtsbaum ist die äußere Manifestation des hellsten Aspekts deiner selbst. Du bist es selbst. Mit diesem klaren Selbst – Gewahrsein deiner falschen Handlungen arbeitest du mit den vier Kräften und es ist gar nicht möglich, dass du so nicht deine negativen Handlungen, deine negativen sprachlichen Äußerungen und deine negativen Gedanken reinigen kannst. Du kannst alles transformieren, alles reinigen.


Aus dem Englischen von Stephanie Ludwig